Kommentar: Der „ewige Krieg“ mag beendet sein, aber nicht der Machtkampf in den USA

German.news.cn| 06-09-2021 10:31:15| 新华网
German.news.cn| 06-09-2021 10:31:15| 新华网

 

Das Foto zeigt das US-Kapitol in Washington, D.C., USA, 7. Juli 2021. (Xinhua/Liu Jie)

WASHINGTON, 5. September (Xinhua) -- Amerikas „ewiger Krieg“ mag mit dem überstürzten Abzug der US-Truppen aus dem kriegsgebeutelten Afghanistan zu Ende gegangen sein, aber die politischen Auseinandersetzungen in Washington über das demütigende Debakel scheinen gerade erst zu beginnen.

Auf dem Capitol Hill in Washington fordern Gesetzgeber beider Seiten Antworten vom Weißen Haus über den verpatzten Abzug, der von den meisten Amerikanern als Fehlschlag betrachtet wird. Der chaotische Abzug hat auch neue Gräben zwischen den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten aufgerissen und der ohnehin schon bröckelnden Glaubwürdigkeit des Landes einen weiteren schweren Schlag versetzt.

Ohne Zweifel muss über die Art und Weise, wie der Abzug des US-Militärs gehandhabt wurde, Rechenschaft abgelegt werden. Washington hat die Lage in Afghanistan eindeutig falsch eingeschätzt und viele Parteien, darunter auch sich selbst, unzureichend vorbereitet. Diese schlecht vorbereitete Entscheidung hat zu einem Anstieg von Chaos und tödlicher Gewalt geführt.

Bei Terroranschlägen in der vergangenen Woche wurden mehr als ein Dutzend US-Soldaten und zahlreiche afghanische Zivilisten bei Evakuierungsmaßnahmen vom Flughafen Kabul getötet. Unmittelbar nach den Anschlägen auf den Flughafen sollen afghanische Zivilisten inmitten des Chaos von US-Soldaten angeschossen und getötet worden sein. Darüber hinaus sind Berichten zufolge am letzten Sonntag in einem Kabuler Stadtviertel zehn Mitglieder einer Familie, darunter sieben Kinder bei einem US-Drohnenangriff auf ein Fahrzeug getötet worden, in dem sich ein mutmaßlicher Selbstmordattentäter befunden haben soll.

Es bleibt abzuwarten, wie das Weiße Haus darauf reagieren wird. Regierungssprecher haben in letzter Zeit wiederholt behauptet, die US-Streitkräfte hätten sich mehr als jedes andere Land der Welt darum bemüht, Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden, obwohl ihre Militäraktionen, einschließlich ungehemmte Luftangriffe, einen hohen Tribut unter der Zivilbevölkerung gefordert haben.

Einige Republikaner haben sogar eine Amtsenthebung oder den Rücktritt von US-Präsident Joe Biden wegen des katastrophalen Endes des Afghanistaneinsatzes gefordert. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sie ihren Willen durchsetzen können, egal wie sehr sie darauf drängen. Die Demokraten kontrollieren immer noch das Repräsentantenhaus und werden mit Sicherheit jeden von den Republikanern eingebrachten Antrag auf ein Amtsenthebungsverfahren ablehnen.

Die Biden-Regierung wird jedoch weiterhin der Kontrolle des Kongresses unterliegen, da auch Mitglieder seiner eigenen Partei die Operationen in den letzten Tagen der US-Militärpräsenz in Afghanistan kritisiert haben. Der von den Demokraten geführte Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Repräsentantenhauses wird noch in diesem Monat Anhörungen anberaumen.

Allerdings wird erwartet, dass sich die Demokraten weniger feindselig und konfrontativ verhalten als ihre republikanischen Kollegen. Zudem versuchten die Demokraten, von Biden abzulenken, indem sie die 2020 von der Regierung unter Donald Trump mit den Taliban getroffene Vereinbarung anprangerten, laut der alle US-Truppen Afghanistan bis zum 1. Mai dieses Jahres verlassen sollten.

Biden ordnete bei seinem Amtsantritt im Januar eine Überprüfung des Plans an, bevor er beschloss, die Frist auf den 31. August zu verschieben, also noch vor dem 20. Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September, bei denen in den Vereinigten Staaten fast 3.000 Menschen getötet wurden. Innenpolitische Kritiker und Verbündete hatten das Weiße Haus zuvor gedrängt, einigen US-Truppen zu erlauben, über den Stichtag hinaus zu bleiben, falls mehr Menschen evakuiert werden müssen.

Die Republikaner versuchen ihrerseits, die außenpolitische Krise zu nutzen, um Biden, dessen Umfragewerte kürzlich auf den tiefsten Stand seiner achtmonatigen Präsidentschaft fielen, im Weißen Haus zu schaden. Zudem wollen die Republikaner das Thema bei künftigen Wahlen zu ihrem Vorteil nutzen, während viele in der Partei noch immer einen Groll gegen die Niederlage im vergangenen Jahr hegen.

Das Debakel in Kabul wurde mit dem Angriff auf das US-Konsulat in Benghazi in Libyen im Jahr 2012 verglichen, bei dem Mitglieder einer militanten islamischen Gruppe den US-Botschafter und drei weitere Amerikaner töteten. Nach dem Vorfall in Benghazi leiteten die Republikaner umfassende Ermittlungen zu dem Anschlag und gegen die damalige Außenministerin Hillary Clinton ein. Sie nutzten den Vorfall später als politische Munition gegen Clinton, als diese für die Präsidentschaftswahl kandidierte.

Die Unterschiede in der Art und Weise, wie die Demokraten und Republikaner Kontrolle über die Folgen des Afghanistan-Einsatzes ausüben werden, einschließlich der Art und Weise, wie die Vorfälle interpretiert werden, haben zusammen mit den unterschiedlichen politischen Berechnungen und Absichten beider Seiten eindeutig die Bühne für erbitterte Grabenkämpfe in Washington und darüber hinaus bereitet.

Angesichts dessen wächst die Befürchtung, dass die Aufsichts- und Rechenschaftspflicht des Kongresses schnell zu einem Wortgefecht verkommen könnte. Loyale Mitglieder der rivalisierenden Parteien werden sich an ihre eigenen Argumente und populäre Rhetorik halten, anstatt Probleme zu lösen, so wie man es in den vergangenen Jahren in Washington unzählige Male gesehen hat.

Die Vereinigten Staaten werden seit langem von einer festgefahrenen Parteizugehörigkeit geplagt, die sogar die Politisierung der COVID-19-Pandemie angeheizt hat. Polarisierte politische Debatten über wissenschaftliche Fragen wie das Tragen von Masken und die Impfung haben die Bemühungen des Landes behindert, die Krankheit zu bekämpfen. Bis jetzt sind 640.000 US-Bürger an COVID-19 gestorben sind und mit fast 40 Millionen Infektionen haben die Vereinigten Staaten die höchsten Fallzahlen der Welt erreicht.

Es wäre bedauerlich, wenn der Streit um den Abzug der amerikanischen Streitkräfte sinnvolle Gespräche und Debatten verdrängen und den Fokus in Washington von der dringend notwendigen Reflexion und Korrektur bezüglich des Abzug-Fiaskos sowie der zwei Jahrzehnte Krieg in dem asiatischen Land ablenken würde.

Aber wenn schon das massive Sterben von Amerikanern in der Pandemie die Politiker in Washington nicht dazu gebracht hat, das öffentliche Interesse über Parteiinteressen zu stellen, wie soll es dann möglich sein, dass sie beim Abzug aus Afghanistan die richtige Entscheidung treffen können?

(gemäß der Nachrichtenagentur Xinhua)

 

Mehr Fotos

010020071360000000000000011100001310170181