Longlong trinkt Milch im Zucht- und Rettungszentrum für Asiatische Elefanten in Yunnan, 11. August 2021. (CICPHOTO/Li Yunsheng)
von Rotraut Wittkowski
SHANGHAI, 10. November (Xinhua) -- Longlong hat Glück gehabt. Obwohl die Herde das neugeborene Elefantenbaby wegen einer Fußverletzung im Urwald Yunnans zurückgelassen hatte, entging es dem sicheren Tod. Wildhüter des Nationalreservats Xishuangbanna im Südwesten Chinas fanden Longlong und brachten den kleinen, hilflosen Rüsselträger zu ihrer Rettungsstation. Seit Monaten wächst er dort bestens behütet auf und wird rund um die Uhr von zwei Pflegern betreut. Nur von ihnen lässt er sich füttern. Einer davon ist Chen Jiming, der inzwischen mehr Zeit mit dem Elefantenbaby verbringt als mit seinen eigenen Kindern. Denn Longlong braucht viel Zuwendung, er folgt Chen auf Schritt und Tritt. "Für Longlong bin ich seine Familie", sagt Chen, während die leiblichen Eltern des kleinen Wildelefanten durch die Wälder des Nationalreservats weitergezogen sind.
Etwa 300 Elefanten leben mittlerweile dort, einst waren es nur 180 Tiere. Deshalb entschied die chinesische Regierung, den Lebensraum und die bedrohten Dickhäuter unter Naturschutz zu stellen. In Yunnan ist man stolz darauf, dass sich die Zahl der Wildelefanten im Nationalreservat Xishuangbanna so gut entwickelt – auch dank des Engagements vieler Tierschützer. Davon gibt es reichlich in der Provinz Yunnan, die als eine der artenreichsten weltweit gilt. So wurden dort allein in den vergangenen 30 Jahren 2519 Arten neu entdeckt.
Fakt ist aber auch: Auf der Erde sind eine Million Arten vom Aussterben bedroht! Eine dramatische Entwicklung, die vor Jahrzehnten begann. 1993 trat deshalb das internationale Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity - CBD) in Kraft. Das CBD ist weltweit das wichtigste multilaterale Vertragswerk für den Schutz der Biodiversität. Damals war China eines der ersten Länder, das dem Umweltabkommen beigetreten ist.
Das Foto zeigt die Eröffnungszeremonie der 15. Tagung der Konferenz der Vertragsparteien des Übereinkommens der Vereinten Nationen (UN) über die biologische Vielfalt (COP15) in Kunming in der Provinz Yunnan im Südwesten Chinas, 11. Oktober 2021. (Xinhua/Li Xin)
Mitte Oktober fand die 15. Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen (COP 15) nun unter chinesischer Federführung statt. In Kunming, dem Regierungssitz Yunnans, erarbeiteten die Vertreter von knapp 200 Staaten die "Erklärung von Kunming". Dabei handelt es sich um ein neues ambitioniertes Abkommen, welches laut Zhao Yingmin, Vizeminister des chinesischen Ministeriums für Ökologie und Umwelt, einen globalen Rahmen für die biologische Vielfalt nach 2020 skizziert. Die Abschlusserklärung soll dann im kommenden Jahr auf einer Präsenzveranstaltung verabschiedet werden, die zwischen dem 25. April und dem 8. Mai erneut in Kunming stattfinden wird.
Laut dem bisherigen (unterzeichneten) Entwurf für das globale Abkommen verpflichten sich die Länder, bis 2050 "im Einklang mit der Natur zu leben". Dafür werden 21 "Ziele für dringende Maßnahmen" formuliert. So sollen 30 Prozent der Fläche an Land und im Meer bis 2030 unter Schutz gestellt werden und die Ausgaben für den Artenschutz innerhalb eines Jahrzehnts auf umgerechnet 173 Milliarden Euro jährlich steigen. Der Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft soll um zwei Drittel reduziert werden, die Verschwendung von Lebensmitteln und Ressourcen halbiert sowie die Umweltverschmutzung mit Kunststoffen gestoppt werden.
Schon jetzt kann die chinesische Regierung auf dem Weg dorthin international richtungsweisende Ergebnisse vorweisen: So hat sie mit den "roten Linien" (Red-Line-Strategy) als erste Nation den Abschluss eines gigantischen Umweltschutzprojektes angekündigt, welches bereits 2017 zum Erhalt der Biodiversität eingeführt wurde – und nicht weniger als 25 Prozent des Landes umfasst. Bei diesen "roten Linien" handelt es sich im übertragenen Sinne um Grundlinien und Lebensadern in Regionen, die Chinas ökologische Balance sichern. Diese Gebiete unterliegen strengen Umweltschutzauflagen. Geschützt werden dort unter anderem die Biodiversität, Wasser- und Bodenressourcen; stabilisiert werden die Küstenökologie und der Wüstensand. Zudem geht es in den Red-Line-Zonen um Aufforstungs- und Wiederherstellungsmaßnahmen sowie das Verbot von Entwicklungs- und Bauaktivitäten.
Eine Luftaufnahme zeigt die Herbstszenerie des Euphrat-Pappel-Waldes im Ejin-Banner in der Autonomen Region Innere Mongolei in Nordchina, 18. Oktober 2020. (Xinhua/Liu Lei)
Allein in der nordchinesischen Region Innere Mongolei wurde mehr als die Hälfte der Fläche als Schutzzone deklariert. Diese 596.900 Quadratkilometer, die etwa der Größe der iberischen Halbinsel entsprechen, umfassen Grasland, Wälder und Feuchtgebiete. Dazu kommen 182 Naturschutzgebiete und weitere 24 geplante Vorhaben dieser Art.
Insgesamt 11.800 Naturschutzgebiete gab es bereits Ende 2019 in China. Und es werden stetig mehr. Denn die atemberaubende Schönheit und Natur des Landes wird nicht allein durch die chinesische Regierung geschützt, sondern auch mit viel Eifer und Überzeugung seitens der Bevölkerung. Deshalb wurde die Red-Line-Strategie in den 14. Fünfjahresplan übernommen.
Nicht nur um das Qinghai-Tibet-Plateau, die Qinling-Berge, das Jangtse-Becken und den Gelben Fluss ziehen sich die "roten Linien" – sie markieren auch die spektakulären Landschaften und Lebensräume seltener Tiere in der Region Yunnan. Wenn man so will, retteten die "roten Linien" auch den kleinen Wildelefanten Longlong.
Zum Schutz bedrohter Arten hat die chinesische Regierung ein System von Nationalparks mit einer Gesamtfläche von 220.000 Quadratkilometern etabliert. Das entspricht etwa der Größe Rumäniens. Laut Cui Shuhong vom Ministerium für Ökologie und Umwelt sind die Populationen von wilden Riesenpandas, sibirischen Tigern, Haubenibissen, tibetischen Antilopen, Wildelefanten, Milu-Hirschen, Gibbons und Languren dank der systematischen Schutzprogramme schnell gewachsen. Verstärkend wirken auch die seit Januar 2020 herrschenden Fangverbote im Jangtse-Becken. Solche positiven Nachrichten erfreuen die chinesischen Städter. Wochenendtrips wie etwa ins Tal der Elefanten im Nationalreservat Xishuangbanna sind anhaltend populär. Dort können die Touristen von einem Brückenleitsystem in sicherer Höhe den Dickhäutern beim Baden oder Fressen zusehen.
Etwa 200 Kilogramm täglich benötigt ein ausgewachsener Wildelefant an Nahrung. Da mussten in der Vergangenheit schon mal die Ernten der umliegenden Bauernhöfe herhalten. Damit das nicht zur Regel wird, lassen die Behörden auf freien Flächen Bambus, Bambuspalmen, Maulbeeren und Bananen anbauen. Auch die Bauern haben sich umorientiert und kultivieren nun Pflanzen, die nicht ganz oben auf der Schlemmerliste von Elefanten stehen. Und falls es doch mal zu Ernteschäden kommt, zahlt die Provinzregierung den Ausfall.
Wenn Mensch und Tier als Nachbarn miteinander auskommen, kann Artenschutz funktionieren.
Vor Kurzem veröffentlichte die chinesische Regierung ihr erstes Weißbuch zur Biodiversität. Darin dokumentiert sie ihre Bemühungen, die Ökosysteme des artenreichen Landes durch kreative, innovative Ansätze und im Streben nach Harmonie zwischen Mensch und Natur zu schützen. Zudem wurden Maßnahmen zur Verbesserung der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen eingeführt, die Strafverfolgung erweitert (z.B. Verbot des Elfenbeinhandels) und die öffentliche Beteiligung gefördert. Laut dem Weißbuch konnte zum Beispiel die Population der Riesenpandas in den vergangenen vier Jahrzehnten auf 1.864 Exemplare vergrößert werden, sodass das Tier nun nicht mehr auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten steht.
Das Foto zeigt einen Weißkopflangur, der im Nationalen Naturreservat für Weißkopflanguren in der Stadt Chongzuo im Autonomen Gebiet Guangxi der Zhuang-Nationalität in Südchina auf einem Ast sitzt, 6. August 2016. (Xinhua/Zhou Hua)
Chinas neue Aufstellung bedrohter Tiere umfasst 980 Arten und acht Kategorien, wobei 500 Tierarten neu hinzugekommen sind. Damit stehen 71 Prozent der Wildtierarten unter staatlichem Schutz. Eine davon ist der vom Aussterben bedrohte Weißkopflangur, der 1980 auf nur noch 300 Exemplare dezimiert war. In den südwestlichen Karstregionen Chinas, im Naturreservat Chongzuo, hat die größte weltweit noch existierende Languren-Gruppe ein geschütztes Paradies gefunden und ist auf etwa 1000 Affen angewachsen. Der dicht bewaldete Nationalpark besticht durch grün bewaldete Monolithen aus Kalkstein, deren zerklüftete Felswände bis zu 400 Meter steil in den Himmel ragen.
Tagsüber erfolgt ein regelrechtes Spektakel am Fuße der Kalksteinformationen: Weißkopflanguren peitschen spielend durch die Bäume oder laben sich an den schmackhaften Früchten und knackigen Blättern. Ab und an recken sie ihre hellen Köpfe aus dem grünen Dickicht und beobachten aufmerksam die Umgebung. Denn manchmal lauern Pythons und Leoparden am Boden. Wenn die Dämmerung naht, machen sie sich deshalb auf den heimtückischen und gefährlichen Aufstieg zu ihren Schlafplätzen in die Karsthöhlen. In schwindelerregender Höhe, hoch über den Fluten des Flusses Ming Jiang und inmitten Jahrtausende alter Höhlenmalereien, springen sie geschickt von einer Felsspalte zur nächsten. Die örtlichen Bewohner schützen das ökologische Umfeld und achten darauf, dass trotz der besonderen Landschaft und Lebensweise der Weißkopflanguren nicht zu viele staunende Touristen das Areal besuchen.
Zumal es für die Naturfreunde reichlich Alternativen gibt. Wie etwa die bis zu 1.200 Meter hohen Tianzi-Berge im Nationalpark Zhangjiajie in der Provinz Hunan, die an das sächsische Elbsandsteingebirge im XXL-Format erinnern. Ihr beeindruckendes Relief inspirierte den Regisseur James Cameron 2009 zum Schauplatz seines Mega-Blockbusters "Avatar". Der Film avancierte zu einem der erfolgreichsten aller Zeiten und die "Avatar-Berge" wurden über Nacht berühmt. Dabei sind die besonderen Berge nicht einmal die Hauptattraktion des Nationalparks, der seit 30 Jahren zum UNESCO-Welterbe gehört: Über den 300 Meter tiefen "Grand Canyon von Zhangjiajie" führt ein 400 Meter langer gläserner Skywalk; dann ist da noch der Bailong-Glas-Fahrstuhl, der an einer der Bergwände 300 Meter in die Höhe rauscht.
Die Krönung für die Besucher aber ist das sogenannte Himmelstor, ein riesiges, natürliches Loch in der Klippe des höchsten Berges Tianmenshan (1519 Meter). Und auch hier sorgt ein Glasboden-Skywalk für große Faszination.
Einzigartige Naturreservate, die gleichzeitig zum UNESCO-Welterbe zählen, gibt es viele in China. Im Westen des Landes gehört seit 1992 der Jiuzhaigou-Nationalpark dazu: unberührte Natur, atemberaubende Berglandschaften und eine Vielzahl von Seen und Wasserfällen, in der zahlreiche Vogelarten und seltene Säugetiere leben. Erwähnt werden sollten auch das Lössplateau am Gelben Fluss, der Urwald in Libo und Chinas außergewöhnliche Wüstenlandschaften, wie jene der Wüsten Gobi und Taklamakan, durch die die legendäre Seidenstraße führt.
Im Frühjahr, wenn erneut Kunming Schauplatz für die Unterzeichnung der Abschlusserklärung der UN-Konferenz zur biologischen Vielfalt ist, werden die chinesischen Verdienste im Kampf gegen das Artensterben sicherlich nochmals im Fokus stehen. Vor Ort in der Provinz Yunnan könnten sich die Vertreter der knapp 200 Staaten sogar persönlich ein Bild von den Fortschritten Chinas machen: mit einem Besuch im Nationalpark Xishuangbanna bei Longlong, der dann sicherlich schon seine beiden Pfleger überragen wird.
(gemäß der Nachrichtenagentur Xinhua)