Das Archivfoto zeigt den chinesischen Schützen Xu Haifeng (rechts) auf dem Siegerpodest der Disziplin Freie Pistole der Männer bei den 10. Olympischen Spielen in Los Angeles in den USA, 29. Juli 1984. (Xinhua/Guan Tianyi)
Vorbei sind die Zeiten, in denen die Chinesen sehnsüchtig auf eine Goldmedaille warteten, um die Stärke der Nation zu beweisen. Chinas erster Olympiasieger Xu stellte fest, dass es in einer führenden Sportmacht um mehr gehen sollte als olympisches Gold.
Von den Sportreportern Bai Xu und Zhou Chang
HEFEI, 5. August (Xinhua) -- Als Xie Yu, ein 24-jähriger Olympia-Debütant, aus dem Nichts auftauchte, um olympisches Gold mit der Pistole zu gewinnen, erinnerte die Szene an die Ereignisse in Los Angeles vor 40 Jahren.
Am 29. Juli 1984 besiegte der chinesische Schütze Xu Haifeng seinen schwedischen Konkurrenten in der Disziplin Freie Pistole der Männer bei den Spielen in Los Angeles nur knapp und bescherte China das erste olympische Gold überhaupt. "Ich muss mich beherrschen und alles geben", schrieb er in einem Tagebucheintrag über seine damaligen Gefühle, der bis heute erhalten geblieben ist.
Auf den vergilbten Seiten seines Tagebuchs hat Xu den Wettkampf an diesem Tag anschaulich beschrieben. Der ehemalige Leistungssportler spendete das Notizbuch mit der grünen Plastikhülle dem Sportmuseum der Provinz Anhui in Ostchina, wo es derzeit ausgestellt ist.
"Damals, vor 40 Jahren, brauchte unser Land einen Schub für seinen Nationalstolz", erinnert sich der 67-Jährige.
Bei den Spielen in Los Angeles 1932 war Liu Changchun der erste Chinese, der an den Olympischen Spielen teilnahm, und es war Xus Sieg in Los Angeles 1984, der das chinesische Volk inspierierte, das einst als "kranker Mann Ostasiens" bezeichnet wurde.
Xu hat einmal ein Gedicht in sein Tagebuch geschrieben:
Großer Ehrgeiz, kleine Schritte,
Ein Genie ist jemand, der immer lernen kann;
Harte Arbeit, mehr Übung,
Erfolg ist da, um ihn sich zu verdienen.
Der Eintrag stammt aus dem Jahr 1979, dem Jahr, in dem die Volksrepublik China ihren rechtmäßigen Sitz im Internationalen Olympischen Komitee wiedererlangte.
Als er in der olympischen Arena stand, wusste Xu, dass der Sieg schwierig sein würde. Kurz nach der Reform und Öffnung Chinas im Jahr 1978 war Materialmangel eine große Herausforderung für die Sportler. Die Provinzmannschaft von Anhui hatte nur zwei importierte Pistolen, die speziell für die Wettkämpfe reserviert waren. Die Kugeln, die er verwendete, waren 1975 importiert worden und verschimmelt. Vor den Wettkämpfen musste er die Kugeln eine nach der anderen mit einem Tuch reinigen.
In seinem Eintrag über den olympischen Wettbewerb schrieb Xu: "In den ersten beiden Serien war ich ruhig, die Ergebnisse waren in Ordnung. In der dritten Serie habe ich jedoch nur eine Acht erzielt. Ich wusste, dass etwas schief gelaufen war. Also bin ich rausgegangen und habe mich eine Weile hingesetzt, um mich zu beruhigen."
Xu kehrte etwa 20 Minuten später zurück. Während sich der Wettbewerb dem Ende näherte, versammelten sich immer mehr Zuschauer, die ihn unter Druck setzten.
Nach einigen Schüssen konnte Xu immer noch nicht die gewünschte Punktzahl erreichen. "Mir wurde klar, dass ich so nicht weitermachen konnte", sagte der Schütze. "Ich habe versucht, mich zusammenzureißen und nicht mehr zu schießen, bis ich mich gut genug fühlte."
Als der Wettbewerb zu Ende war, eilten begeisterte Zuschauer herbei, um ihm zu gratulieren oder ein gemeinsames Foto zu machen, aber Xu war immer noch nervös. Damals gab es noch keine elektronischen Bildschirme, auf denen die Ergebnisse zeitnah angezeigt werden konnten. Dadurch mussten sie eine halbe Stunde lang warten.
Es war vielleicht die längste halbe Stunde seines Lebens, aber das Warten war es wert. Xu war erleichtert, als er die Nachricht von den Richtern erhielt. "Ich habe mein Land und meine Landsleute nicht im Stich gelassen", schrieb er. Sein Teamkollege Wang Yifu schnappte sich die Bronzemedaille. Für die Organisatoren war die Überraschung so groß, dass sie für das Hissen der Flagge eine zweite chinesische Nationalflagge einfliegen lassen mussten.
In seinem Tagebuch hielt Xu jeden seiner Schüsse fest, indem er Kreise zeichnete, um die Zielscheiben zu symbolisieren, während Schüsse in verschiedenen Serien mit unterschiedlichen Symbolen wie Punkten und Dreiecken in verschiedenen Farben markiert wurden.
"Nach jedem Wettkampf schreibe ich normalerweise meine Messungen, den Ablauf und eine Zusammenfassung auf", so der erfahrene Schütze.
In den folgenden Jahren arbeitete Xu als Trainer und Sportfunktionär, aber die Gewohnheit, ein Tagebuch zu führen, blieb bestehen. Im Laufe seiner Karriere füllte er Dutzende von Notizbüchern, die er alle dem Museum schenkte.
Die ehemaligen Olympiasieger Li Duihong und Tao Luna waren beide Xus Schüler. Im Jahr 2004 war er Cheftrainer der chinesischen Schießsportmannschaft, als die Schützen in Athen vier olympische Goldmedaillen holten.
Vorbei sind die Zeiten, in denen die Chinesen sehnsüchtig auf eine Goldmedaille warteten, um die Stärke der Nation zu beweisen. Seit dem Jahr 2000 liegt China im olympischen Medaillenspiegel stets auf einem der ersten drei Plätze.
"Als sich das Land entwickelte, florierten verschiedene Industrien, und es wurden mehr Goldmedaillen gewonnen. Der Fokus der Menschen auf Medaillen ist nicht mehr so stark wie früher", sagte Xu gegenüber Xinhua.
Xu war Zeuge der wirtschaftlichen und sportlichen Entwicklung Chinas. Diesmal hat das Land ein großes Team von 405 Athleten nach Paris geschickt, von denen einige im Ausland trainiert haben. Was den Schießsport betrifft, so üben die chinesischen Schützen im Training mit den besten Pistolen.
Xu wies jedoch darauf hin, dass es bei einer führenden Sportmacht um mehr gehen sollte als um olympische Goldmedaillen.
"Mit der Verbesserung ihrer Lebensumstände ist der Wunsch der Menschen nach einem besseren Leben immer stärker geworden, und sie legen mehr Wert auf Fitness", sagte Xu.
Obwohl der Sportschütze inzwischen im Ruhestand ist, ist Xu immer noch sehr aktiv. "Ich hoffe, dass ich mehr zum Sport in China beitragen kann", sagte er.
(gemäß der Nachrichtenagentur Xinhua)